AWO fand ihre Geburtsurkunde im Siegburger Stadtarchiv

"Sehr viel zur Linderung der Not getan"

Siegburg. Das Rheinland kennt Jubiläen, die andernorts unbekannt sind. Elf Jahre oder dreimal elf Jahre. Man will und muss die Feste feiern, wie sie fallen. Die Siegburger Arbeiterwohlfahrt fiebert auf einen Jubeltag hin, der selbst außerhalb der rheinischen Brauchtumszone Anlass zum Feiern gäbe - sie wird 100 Jahre alt. Nur: Wann genau ist es so weit? Hilfe suchten die AWO-Verantwortlichen im Stadtarchiv. 

Das Protokollbuch der Siegburger Sozialdemokratie hilft weiter. Am 29. Oktober 1922 lädt sich der erst drei Jahre alte SPD-Ortsverein eine kompetente Referentin ins Volkshaus an der Kaiserstraße ein. Eine Frau Schulte aus Köln, von der weiter unten noch die Rede sein soll, "bespricht die Entstehung der Arbeiterwohlfahrt, wie sich dieselbe aus kleinen Anfängen heraus zur jetzigen Größe entwickelt und hauptsächlich in den Großstädten sehr viel zur Linderung der Not getan hat".

Im Anschluss an den als "interessant" bezeichneten Vortrag geht eine Liste zur Gründung einer Arbeiterwohlfahrtsstelle herum, in die sich alle 31 Anwesenden eintragen. Gleichzeitig wird zu Vorbereitungszwecken ein sechsköpfiger Ausschuss gewählt.

Dann der 3. Dezember 1922. Gleicher Ort, der Vorbereitungsausschuss schlägt einen Gründungsvorstand unter der Leitung des Genossen Offermann vor. Die Versammlung ist einverstanden, die AWO geboren. Wiederum spricht Frau Schulte, die sich leicht verschnupft zeigt, wiederum mit einem vollen Haus und nicht allein mit dem engeren Vorstand zu konferieren. Sie verspricht der Zuhörerschaft, alsbald einen Kursus mit praktischen Tipps für Helfer anzubieten. 

Wichtig auch: Die Genossen sehen unisono die Notwendigkeit, das in der großen Armut nach dem Ersten Weltkrieg sehr weit gewordene Feld der Bedürftigenunterstützung nicht allein den christlichen Gewerkschaften zu überlassen. Parteimitglied Fleischer schlägt "eigene Wege vor", ebenso der Genosse Klein, der der karitativen eine sozialistische Wohlfahrtspflege entgegenstellen möchte.

Fotos: 1927 hatte die AWO schon ein eigenes Jugendheim, wie diese Postkarte aus dem Nachlass Hagedorn zeigt. Es wurde zur Sommerferienbetreuung von Kindern genutzt. Im eingeklinkten Bild der Auszug aus dem Protokollbuch der SPD, die Geburtsurkunde der Siegburger Arbeiterwohlfahrt.

Aus Köln nach Siegburg

Siegburg. Die Kölnerin, die die Gründung der AWO in Siegburg anstieß, hat heute in Merheim ihre eigene Straße. Anne - genannt "Aenne" - Schulte (1886-1973), geborene Mergi, stammt aus Innsbruck, zieht im Alter von zwei Jahren an den Rhein. Der Vater, ein Schneider, ist Gewerkschafter, die Mutter engagiert im "Frauen- und Mädchen-Bildungsverein" der Domstadt. 1906 ehelicht sie den Sozialdemokraten Georg August Schulte, macht im Ersten Weltkrieg zusammen mit der bekannten Sozialreformerin Marie Juchacz Köln zur reichsweiten Keimzelle der Arbeiterwohlfahrt. 1919 wird sie Stadtverordnete für die SPD, in Jahr später überreicht ihr Bürgermeister Konrad Adenauer das Verdienstkreuz für Kriegshilfe der Preußischen Staatsregierung. Im Nationalsozialismus werden die Schultes verfolgt, ihr Ehemann liegt am 16. September 1940 tot auf dem Straßenpflaster der Kölner Innenstadt. Die Täter werden nie gefasst. Nach dem Zusammenbruch arbeitet sie in diversen Wohltätigkeitsorganisationen am moralischen Wiederaufbau Kölns und ist erneut kommunalpolitisch aktiv. Dem 1965 verliehenen Bundesverdienstkreuz folgt 1967 das "Goldene Herz" der Arbeiterwohlfahrt. Foto (Wikipedia/Laroche): Aenne Schulte.